Regen im Regenwald

Nach kaum auszuhaltender Hitze, die dich in Kombination mit schwerer, in der Luft förmlich stehender Feuchtigkeit zum Schwitzen bringt und von kühlen Flüssen, eiskalten Papayabolos* und Ferien auf der Antarktis träumen lässt, kommt sie mit einem Mal und fährt dir wohltuend durch die Haare, lässt deine Klamotten flattern. Eine frische Windbrise, die auch die Bäume zum Rauschen und deren Blätter zum Rascheln bringt.
Sie ist nur die Vorbotin. Die Vorbotin eines gewaltigen Phänomens, dem der Regenwald seinen Namen - zurecht - zu verdanken hat.
Des Regens, oder passender: Der immensen Wassermengen, die auf die Erde prasseln, als würde eine höhere Macht eimerweise Wasser ausschütten. Große und dichte Tropfen sind es, die diese Dschungeldusche formen. Sofort bist du nass, durchnässt bis auf die Haut.
Du kannst nur hoffen, dass du gerade keinen Rucksack mit wichtigem Inhalt bei dir trägst, ganz egal ob Elektronik, Papiere, oder Kleidung, denn so leicht findest du keinen Unterschlupf.
In den ersten Minuten mag ein Blätterdach eventuell noch halbwegs Schutz bieten, doch schon bald rinnen die Tropfen in ebenso hoher Dichte von grünen Pflanzen auf dich hinab, wie sie sich auch aus dem freien Himmel ergießen und dabei zusammen mit bedrohlichem konstanten Donnergrollen aus der Ferne eine ohrenbetäubende Geräuschkulisse bieten.
Möchtest du nun, dass dein Rucksack seinen Inhalt unversehrt zum angestrebten Ort transportiert, dann trägst du hoffentlich eine Plastiktüte bei dir - nichts ist wertvoller in diesem Moment als die banale Tüte.
Ansonsten: Ciao Papiere, Adiós Elektronik, Bis bald, Kleidung.
In dem Glücksfall, dass du ohne Gepäck in dem Wolkenbruch gestrandet bist, hast du die Wahl zwischen genau zwei Möglichkeiten.
Option eins, das Leben und diesen Dschungel mit seinen unvorhersehbaren Wetterlaunen zu hassen und zu verfluchen - auf jeden Fall verständlich.
Option zwei, das Spektakel, das durchaus von einem befreienden, reinigenden Charakter ist, in vollen Zügen genießen. Ohja, diese Möglichkeit ist diejenige voller Freude und Lebendigkeit. Und lebendig fühlst du dich in jedem Fall. Denn jede Zelle deiner Haut bekommt die großen Tropfen ab, kein Zentimeter bleibt trocken, wird von diesem wilden Wetter verschont.
Keine Angst, zu frieren fängst du nicht so schnell an. Denn immer noch ist es warm, trotz der frischen Nässe, die dich umfängt, und du selbst bist wohl in Bewegung.
Denn du spürst die Ausgelassenheit in diesem wasserdurchfluteten Jetzt, das all deine Sinne in seiner Strömung davonreißt.
Renne, renne los, nichts hält dich auf inmitten von der gewaltigen Naturmacht.
Und dann, ganz plötzlich. Geht es vorbei.
Du wirst wieder trocknen, dein Leben mit normalen Gefühlen führen, bis dieser Moment dich wieder packt. Bis die Fluten des Regenwalds brechen und das Wasserprasseln beginnt und du davongespült wirst. Ganz kurz.






Diese zugegebenermaßen leicht pathetischen Worte schrieb ich im November nieder, als eine Reise an die Küste anstand und ich - statt vernünftig unter dem Bambusdach zu warten - mitsamt Reisegepäck auf dem Rücken loslief und in den eben beschriebenen Wetterumbruch geriet, der keinesfalls vorauszusehen war und garantierte, dass sowohl mein Rucksack, als auch dessen Inhalt und ich selbst die Busfahrt nach Macas triefend zurücklegen mussten.

Erst in diesem Moment lernte ich den wahren Wert von schlichten Plastiktüten aber auch von einem einfach unschlagbaren Regenschirm zu schätzen und gerade momentan in der hiesigen Regenzeit habe ich diese rettenden Utensilien meist dabei.

So oft nass wir ich es hier bin war ich nie in meinem Leben vorher.
Sei es durch den Schweiß, der beim Laufen in feuchter Dschungelhitze unaufhaltsam fließt, durch die vielen täglichen Flussbäder und Aktivitäten in einem der zwei Ríos (allein beim Fischen muss ich letztendlich immer ins Wasser steigen, da irgendein frecher Fisch meinen Angelhaken schnappt und sich dann unter einem Stein festhakt, was das Herausziehen der Angel von außerhalb unmöglich macht), oder durch das eher unfreiwillige Gelangen in einen flutartigen Regenschauer, der bis vor kurzer Zeit aufgrund des undichten - inzwischen reparierten - Dachs meiner Hütte auch für nassen Schlaf sorgen konnte.

Aber Regen kann hier Fluch und Segen sein und betrifft die Menschen, da sie in engstem Verhältnis mit der Natur leben, natürlich viel, viel mehr als jemals ansatzweise in Deutschland.
Wenn beispielsweise der Fluss dadurch extrem ansteigt und wie im letzten Jahr alles Hab und Gut einer Familie und auch die gesamte Ernte auf unserem Feld in Selvavida mitreißt, ist das schrecklich. 

Ansonsten aber reagiert man hier gelassen auf den Regen, wartet eben ein wenig ab, bevor man sich herauswagt. Kommt niemals auf die Idee, sich wegen der Frisur oder etwaiger Schminke (die hier kein Mensch aufträgt) Gedanken zu machen. Gibt als Lehrer eben stille Arbeitsaufträge, da der Lärm unter den Blechdächern der Klassenzimmer ohrenbetäubend ist. Nutzt als Kind die Gunst der Stunde, um in entstehenden Schlammfeldern wunderbar zu toben. Freut sich als Pflanzen über die Hydration. Und an meiner Stelle: Freut sich zum Beispiel darüber, heute keine Wäsche waschen zu können :)

*Papayabolos:

Bolos sind aus Fruchtsaft gewonnenes Wassereis, sie werden für wenige Cents in vielen Dschungellädchen verkauft und können an so manch einem heißen Tag nach der Schule - besonders mit Papayageschmack - ein wahrer Hochgenuss sein.

Glasklarer Fluss wird wütender Strom
Glasklarer Fluss wird wütender Strom
Aus Weg wird Bach
Aus Weg wird Bach

Rückflug am 25.08.18

Hier lebe ich die meiste Zeit
Hier lebe ich die meiste Zeit