Dschungeltücken

Die Grüne Hölle.
Mir ist inzwischen klar, weshalb der Dschungel in den Augen manch eines Beobachters diese abschreckende Bezeichnung verdient.
Denn gerade auf diejenigen, die wie ich Urwald-Neuling das erfolgreiche Zusammenspiel mit diesem einzigenartigen Naturraum nicht schon von Kindesbeinen an erlernt haben, lauern hier eine ganze Menge Tücken.
Meist handelt es sich um harmlose, dafür aber unendlich nervige Kleinigkeiten, die - zumindest in meinem Fall - zugegebenermaßen oft genug auf die eigene Tollpatschigkeit des unfähigen "Eindringlings" zurückzuführen sind.

Konkreter ausgedrückt mache ich beim Angeln einen ungeschickten Schritt und lande im Wasser.
Hole mir beim unachtsamen Rumschlendern in Flipflops eine blaue Zehe.
Falle bei der Rückkehr nach Selvavida dem schlammigen, rutschigen und wirklich nicht einfach zu bewältigenden Weg zum Opfer.
Besonders ärgerlich ist Letzteres, da hier schließlich jeder Fleck auf der Kleidung mit Handarbeit mühsam herausgewaschen werden muss.

Es ist eine Kunst, seine Klamotten im Dschungel in ihrem sauberen und unbeschädigten Ursprungszustand zu erhalten, die ich nicht vollständig beherrsche.
Ein einziges fatales Mal nur zu faul oder zu beschäftigt, um ein kürzlich getragenes Oberteil direkt zu waschen, schon wird dir das Aufschieben zum Vehängnis.
Es bilden sich fast unverzüglich schwarze Sternchen, die auf dem Stoff genauso gut sichtbar und überraschend sind, wie es ihre schimmernden Vorbilder am nächtlichen Firmament in klaren Dschungelnächten sein können.
Nur letztgenannte Himmelskörper sorgen hier allerdings für Begeisterung.
Denn der Schimmel blüht einfach zu gut in diesem schwülheißen Klima.

Doch noch viel bösartigeres schwarzes Leben kann in jener Kleidung oder genauso in Schuhen und anderen unerwarteten Verstecken lauern:
Skorpione, die genau wie Schlangen einen Teil der faszinierenden Fauna des Urwalds ausmachen und vor denen man sich zum eigenen Wohl lieber mit Vorsichtsmaßnahmen schützen sollte, da die kleinen und bedrohlichen Wesen nicht ungefährlich sind.

unschädlich gemachter amigo
unschädlich gemachter amigo
Besuch in meiner Hütte - "¡¡Cesaaar!!"
Besuch in meiner Hütte - "¡¡Cesaaar!!"

Ich hatte bislang das Glück, nicht den Schock erleben zu müssen, den das Herausschütteln eines Skorpions zum Beispiel aus einer Socke sicherlich auslösen würde,
fast ebenso sehr erschreckte mich dafür eines Tages der beängstigende Anblick von Hunderten Ameisen, die sich auf zum Trocknen aufgehängten Tshirts tummelten.
Nach Lucys beruhigender Aussage eine harmlose und vorrübergehende Kolonie, die kurioserweise die besetzte Kleidung mit einem intensiven Duft hinterlässt - sozusagen "el perfume de la selva".

Anderes Ungeziefer beeinträchtigt meine hiesige Lebensqualität wesentlich stärker:
Mosquitos.
Keine Überraschung, aber eine wirklich nicht  angenehme Gesellschaft.
Von großen und langbeinigen "Zancudos", die einen noch Bluttropfen absondernden Flatscher auf der Haut zurücklassen bis hin zu winzigen "Arenitas" (Sandkörnchen), welche den Körper mit unendlich vielen roten Pünktchen malträtieren, von keinem Mosquitonetz aufgehalten werden und deren Aktivität in Vollmondnächten das unerträgliche Maximum erreicht, erfreuen sich die verschiedensten Gattungen an frischem menschlichen Blut.

danke Fotograf Jacob
danke Fotograf Jacob

Mehr noch als von eben beschriebenen fliegenden Insekten werde ich persönlich vom sogenannten "Coloradillo" gequält, einem mikroskopisch kleinen Parasit, der sich in den Gräsern um meine Schule in Tunants angeblich besonders stark tummelt und es normalerweise auf Kinder abgesehen hat - und offensichtlich auf mich.
Dessen Attacken machen sich anhand von hochjuckenden Stichen bevorzugt im Oberkörperbereich, in Hautfalten und auf der Kopfhaut bemerkbar - und dann ist es schon zu spät.

Leider verheilen derartige (aufgrund von zu schwacher Selbstdisziplin aufgekratzte) Bisse und ganz allgemein Wunden in der feuchten Hitze äußerst langsam und neigen zu Entzündungen.
Diese Tücke kann glücklicherweise durch die Wirkung einiger hiesiger Pflanzen eingedämmt werden, deren Saft offene Stellen besser verschließt und heilen lässt als ein Pflaster es könnte.

Wundermittel "Drachenblut"
Wundermittel "Drachenblut"

Doch auch abgesehen davon scheint das Immunsystem wahrscheinlich vor allem klima- und hygienebedingt ein wenig schlechter zu funktionieren als in Deutschland.
Ich persönlich war zwar nie wirklich ernsthaft krank in Ecuador oder musste einen Arzt aufsuchen, aber schwächelte dafür in den vergangenen acht Monaten doch häufiger als normal und kämpfte mit Erkältungen.
Diese lassen sich dank vieler Bücher in manchen Fällen gut ertragen, wenn jedoch eine so essentielle Kleinigkeit wie Hustenbonbons plötzlich in unerreichbarer Entfernung liegt, kann die Laune schon mal kippen. Denn Literatur versüßt die Stunden im Bett zwar, zaubert jedoch keine Halsschmerzen hinfort.

Apropos süß - Zucker ist es, der meine letzte Dschungeltücke erst so tückisch gemacht hat.
Man sollte niemals den Fehler begehen, in drei verschiedenen Rucksäcken Essbares aufzubewahren.
In einem lagerte ich Süßigkeiten für meine Schüler, im anderen einen schlichten Apfel, im dritten Hefepulver für Stockbrot - alle wurden sie während seligen Schlafes meinerseits von nächtlichem Besuch zerlöchert -
die feine Nase einer Ratte hatte offensichtlich Witterung aufgenommen.
Um den hohen Zuckerkonsum anschließend wieder auszugleichen und generell Körperpflege zu betreiben, bediente sich das Tierchen ungehemmt auch an Zahnpasta, Shampoo und Desinfektionsmittel.
Hygiene ist alles - nicht nur für uns Menschen!!
Noch dauert der Kampf gegen den Schädling an und in grausamen Momenten wünsche ich der Ratte einen langsamen Tod verursacht durch Platzen, nachdem meine Hefe in ihrem Magen die Wirkung entfaltet hat.

die Ratte ist klüger
die Ratte ist klüger

Wie aus den Zeilen hervortritt, kann sich der Dschungel auch für mich in wenigen Momenten vorübergehend wie eine grüne, unbarmherzige Hölle anfühlen.
Doch nach Abklingen des Ärgers / des Schreckens / der Schmerzen / des Juckens lachen wir hier tatsächlich über jede einzelne dieser Lapallien. Es wäre schließlich langweilig ohne solche für den Urwald charakteristischen Vorkommnisse!
Was ich beschrieben habe, sind also wirklich nur Kleinigkeiten und auch kaum der Rede wert.
Sie gehören einfach fest zu meinem Leben hier dazu und sind mit etwas Abstand unendlich witzig, weshalb ich sie auch mit euch teilen wollte.
Keinesfalls ändern sie außerdem etwas an meiner Liebe zum Dschungel und an meiner Freude daran, hier so lange Zeit zu verweilen.



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Kommentare: 4
  • #1

    Lana (Samstag, 05 Mai 2018 23:29)

    Erster! <3

  • #2

    Wolle (Sonntag, 06 Mai 2018 17:36)

    Liebe Maja,
    deine Blogeitragungen lassen mich den tristen Sonntag wesentlich besser ertragen, vielen Dank! Die Berichte über den so fremden Lebensraum, in dem du dich bewegst, wirken so real, dass ich manchmal glaube, dass ich mich selbst in dieser Gegend bewege. "Huch!", dem ist ja gar nicht so muss ich mir dann immer sagen und kneife mir manchmal zur Sicherheit in den Arm.
    Naja ich will dich nicht weiter aufhalten bei deinen weiteren Abenteuern, die bestimmt schon genau in diesem Moment erlebst.
    Pass gut auf dich auf und liebste Grüsse, du bewegst etwas!

  • #3

    Mama (Sonntag, 06 Mai 2018 18:43)

    Mein Schatz, ich liebe deine Berichte, die so voll Farbe und Energie sind! Ich freue mich so, dass du diese grüne „Hölle“ mit allem was sich darin bewegt und vorkommt so liebst und es so genießen kannst, dort so lange zu verweilen!!! Genieße weiter alles, hoffentlich verschonen dich richtig schlimme Sachen oder Insekten! Hab dich lieb und freu mich endlos auf dich ❤️ Mama

  • #4

    Dieter (Montag, 07 Mai 2018 12:11)

    Hallo Maja,
    ich freu mich jedesmal wieder, von dir zu lesen, auch wenn ich nicht jeden Bericht einzeln kommentiere. Du hattest ja kürzlich Besuch von deinem Kuseng im Dschungel, und das war natürlich auch großes Thema als er wieder hier war. Interessanterweise war einer seiner ersten Kommentare, dass bei dir in Selvavida ziemlich viele lästige Moskitos herumfliegen - daran musste ich sofort denken als ich deinen Blog heute gelesen habe. Bei uns sind derzeit Zecken großes Thema in Zeitung, Radio, TV und Magazinen. Aber überall auf der Welt können sich die Menschen dann doch "irgendwie" mit dem Getier, Gewürm, und krabbelndem oder fliegendem Ungeziefer arrangieren. Wie du sagst, wichtig ist immer auch das Wissen um die Gefährlich- oder Giftigkeit dieser Angreifer. Und manche von den Getieren kann man ja sogar grillen und essen :-D
    Ich wünsche dir weiterhin eine schöne Zeit beim laaaaangsamen Ausklingen deines Aufenthalts in wenigen Monaten.

Rückflug am 25.08.18

Hier lebe ich die meiste Zeit
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