Be quiet, teacher!

Wenn man so in meinem Blog stöbert, fällt auf, dass ich bis auf in einem Eintrag kaum Worte über die Schule und den Englischunterricht in Tunants verliere, obwohl dies schließlich meine Haupttätigkeit ist und die Vormittage unter der Woche füllt.
Also folgen nun einige Schilderungen und Updates aus meiner Arbeit als "Englischlehrerin".

Der Unterricht variiert sehr stark abhängig davon, welchen Klassen ich gegenüberstehe.
Mit den Kleinen (Klasse 3 und 4) ist es die größte Herausforderung.
Wie beschäftigt man eine 30köpfige Bande 80 Minuten lang und bringt ihnen dabei ansatzweise Englisch bei, wenn die Kinder kein geeignetes Arbeitsbuch in dem Fach besitzen, manch einem wesentliche Materialien wie ein Bleistift fehlt und die Gruppe zu alldem aus zwei Stufen besteht, die sich auf völlig verschiedenen Niveaus befinden und deren Tafeln noch dazu an entgegengesetzten Seiten des Klassenzimmers angebracht sind?
Respekt an die Lehrer, die jahrelang unter diesen Bedingungen unterrichten und in der Stunde unentwegt von einer zur anderen Stufe und von einem zum wiederum anderen Themengebiet eilen. 

Zum Teil und meist in entlegeneren und kleineren Gemeinden schmeißt ein einziger Lehrer die gesamte Schule und ist alleine für die Bildung von Erst- bis Achtklässlern zuständig!
Ebensoviel Respekt wie den Lehrenden gebührt den Lernenden, von denen erwartet wird, sich auf ihre eigenen Aufgaben zu konzentrieren, während der Lehrer im selben Moment der anderen Gruppe im Raum etwas völlig anderes erklärt.

Ich selbst habe mich am Jahresanfang dafür entschieden, zunächst die verschiedenen Stufen im Klassenzimmer als eine einzige Klasse zu behandeln, da es für mich erstmal schon genug fordernd war, überhaupt in die vorher noch nie eingenommene "Lehrer"rolle zu schlüpfen und mich darin zurecht zu finden.
Doch ich blieb nach der Eingewöhnungsphase weiterhin und auch jetzt noch bei diesem Unterrichtsstil ohne Differenzierung der Niveaus, da ich die Stunden großen Teils mündlich, spielerisch und bei den Jüngsten mit Gesang gestalte - unmöglich, auf diese Weise verschiedene Klassen zugleich zu bedienen.
Nachteil dieser meiner Art zu unterrichten ist jedoch, dass die Ältesten sich schneller langweilen, während die Jüngsten überfordert sind.
Es ist schwierig, ein Gleichgewicht zu finden, mit dem man allen gerecht wird.
Naja, zumindest bei den Kleinen sind wirklich alle begeistert dabei, wenn gesungen wird - dass dann mal manche der 2.Klässler im Gegensatz zu den 3.Klässlern den Text nicht ganz perfekt beherrschen, macht ja nicht so viel aus ;)
Abgesehen davon geht viel Zeit der Stunde mit abschreiben und -malen von Bildern mit den jeweiligen englischen Vokabeln drauf.
Als kleines Projekt gestalteten wir daneben zum Beispiel auch zusammen das englische Alphabet als Girlande zum Aufhängen.

A - apple B - ball C - cow ...
A - apple B - ball C - cow ...

Der Lärmpegel ist immer ziemlich hoch und das Unterrichten sehr anstrengend, aber die Kinder lernen unglaublich schnell, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sie im Dschungel ansonsten keinerlei Berührungspunkte zur englischen Sprache haben.
Es kann sicherlich nicht schaden, schon so früh mit englischen Klängen konfrontiert und vertraut zu werden - vielleicht liegen hier die Wurzeln für ein späteres Beherrschen der heute noch fremden Sprache.

und sie kommen immer näher...🤣
und sie kommen immer näher...🤣

Viel einfacher fallen mir vergleichsweise die Stunden mit den "Mittleren", wie ich Klasse 5, 6 und 7 zärtlich nenne :)
Die Schüler dieses Alters sind einerseits voller Elan dabei und lieben es (noch!) zu singen und vor allem zu spielen. Fast jedes Mal werde ich von der ganzen Klasse inständig darum gebeten, "Vokabelfußball" an der Tafel zu spielen und wenn ich dem nachgebe gibt es Begeisterungsrufe!

die versammelte Mannschaft
die versammelte Mannschaft

Andererseits sind sie auch schon fähig dazu, leise und diszipliniert für sich selbst zu arbeiten.
Für diese Klassen war es folglich deutlich leichter die Halbjahrestests zu erstellen und durchführen als für die Jüngeren - eine Aufgabe, die mir zufiel, obwohl ich mich als Freiwillige, die ich weit davon entfernt bin, die Bezeichnung "Lehrerin" zu verdienen, generell ziemlich unwohl dabei fühle, Schüler zu bewerten.
Doch wer sonst soll die Noten geben, die das Ministerio de Educación zwingend fordert, wenn nicht ich, die ich die Schüler eben als Einzige in dem Fach Englisch unterrichte?

Zum Glüch wirkten die Lehrer unterstützend und ermöglichten es mir neben den obligatorischen schriftlichen Tests, jedes Kind mündlich zu prüfen, was mein Unterrichtskonzept viel besser widerspiegelt und deshalb auch sehr positive Resultate erzielte.

Examen de inglés für 2. und 3. Klasse
Examen de inglés für 2. und 3. Klasse

Auch momentan sind wir wieder fleißig am Üben für die Jahres-Abschlusstests, die schon übernächste Woche stattfinden und mir das (Schul)jahresende vor Augen halten...
Doch bevor Nostalgie und sonstige Gefühle bei dem Gedanken daran aufkommen, erzähle ich eine kleine Anekdote aus dem Unterricht mit der 5.6.7. Klasse.


Eines Tages stand eine Fünftklässlerin mitten im Unterricht plötzlich auf, kam zu mir ans Pult und verkündete selbstbewusst: Be quiet, teacher!

Etwas perplex dachte ich, das bin ich doch?!
Schließlich verwandelte sich die verwirrte Stille aller Schüler und meinerseits in Gelächter, denn
das Mädchen hatte eigentlich sagen wollen: Excuse me, teacher! um damit um Erlaubnis für einen Toilettengang zu beten.
Da wir die verschiedenen Aufforderungen jedoch in derselben Stunde durchgenommen hatten, schien sie das ein wenig verwechselt zu haben und damit sorgte sie bei allen Beteiligten für einen sehr heiteren Moment!


Nun zu den Großen (8.9.10. Klasse) , bei denen ich die meisten Englischstunden halte.
Die Jugendlichen wissen im Gegensatz zu manchen Schülern aus niedrigeren Stufen theoretisch sehr genau, wie sie sich zu verhalten haben. Theoretisch. In der Praxis ist die Gesamtsituation für keine beider Partien einfach, da die Schüler alterstechnisch sehr nah an mir dran sind. Mein ältester Schüler ist bereits siebzehn.
In den Pausen und außerhalb des Klassenzimmers habe ich mit ihnen ein freundschaftliches Verhältnis  und ich glaube, gerade nach einer lustigen gemeinsamen Pause fiel es manchen oft schwer, mich auf einmal als Lehrerin und Respektperson anzusehen, der sie gehorchen müssen und die ihnen vorschreibt, was sie tun sollen. Vollkommen verständlich! Auch ich fühlte mich schließlich gerade am Anfang manchmal seltsam dabei, plötzlich die Blicke von so vielen fast Gleichaltrigen zwei Stunden lang auf mir haften zu spüren, ihnen Anweisungen zu geben, sie zu unterrichten.
Die Kontrolle über die Klasse entglitt mir zusehends und mündete kurzzeitig in dem Gefühl, lediglich gegen eine Gruppe anzukämpfen - an Englischunterricht nicht zu denken.
Aus der Lage half mir Raúl heraus, der Direktor und Lehrer der "Großen", eine respektierte Autorität.
Wir redeten alle gemeinsam über die Situation und kamen miteinander "ins Reine".
Im seltenen Fall, dass der Lärmpegel nun den Rahmen sprengt, kommt eine Raúlsche Ermahnung von draußen und schon läufts wieder. Das ist keine ideale Lösung aber somit können wir alle wieder fröhlich und friedlich dem Unterricht nachgehen. Die Tatsache, dass ich eben ab und zu in die Lehrerinnenrolle schlüpfe, tut der Freundschaft außerhalb zum Glück keinen Abbruch.

Ich hatte irgendwann den Eindruck, dass eben beschriebene Unruhen nicht nur die zu geringe Altersdifferenz als Ursache haben, sondern es auch überhaupt an Motivation fehlte, Englisch zu lernen - wozu denn? Spricht hier schließlich keiner.
Deshalb widmeten wir uns eine Doppelstunde lang der Frage, was die Sprache ihnen in der Zukunft bringen kann, nämlich eine ganze Menge - Kommunikation zum einen, Perspektiven in Bezug auf Studium und Arbeit zum anderen und natürlich der Spaß am Lernen selbst sind hier die Stichpunkte.
Eine Weltkarte sollte zudem veranschaulichen, in wie vielen Ländern und Räumen auf der Erde Englisch gesprochen wird (korrekter: Amtssprache ist).
Ich war selbst überrascht von der Menge!!

im roten Bereich ist Englisch Amtssprache
im roten Bereich ist Englisch Amtssprache

Ein kleines Highlight mit den 8.-10.Klässlern war dieses Jahr auf jeden Fall noch das gemeinsame Stockbrot machen, was die Kinder nicht kannten (und was den meisten Deutschen beim Anblick eines Lagerfeuers wahrscheinlich als in den Sinn kommt, welches hier jedoch alltäglich ist).

leckerschmecker
leckerschmecker

Ansonsten flogen die Schultage nur so davon, ohne viele besondere Vorkommnisse, mal mit viel Motivation, mal mit lustlosen Kindern und Lehrern. Normal eben und ähnlich wie wahrscheinlich an allen Bildungsstätten dieser Welt.
Erwähnenswert waren und sind einige wenige Feiertage und besondere Anlässe wie der Día del niño,  Tag des Kindes, der Gewinn unserer Schülermannschaft beim Fußballturnier in Tunants oder der Besuch einer Autorität.
An solchen Tagen bringen alle Kinder nach Absprache am Tag vorher Yuca, Reis, ein Huhn oder was auch immer Essbares sie gerade zu Hause haben mit in die Schule und die Mütter verwandeln den bunten (und scheinbar zufälligen) Mischmasch mit gekonntem Händchen in ein köstliches Festmahl, dass mehr als hundert hungrige Mägen (über)füllt.
Erst kürzlich gab es ein solches Essen, diesmal mit einer ganzen geschlachteten Kuh.
Der Anlass war die viertägige Fiesta de Tunants, in welcher wir den (ich glaube) 38. Geburtstag der Gemeinde feierten.
Hauptsächlich bestand die Feier darin, dass die Kinder aus dem Umfeld in einem organisierten Turnier im Fußball gegeneinander antraten, viele Schüler Gedichte und Lieder zum gleichzeitig stattfindenden Muttertag vortrugen, abends getanzt und getrunken und die Reina (Königin) gewählt wurde und natürlich wie bei jedem festlichen Anlass typische Shuartänze von den Kindern vorgeführt wurden - mein Lieblingsteil der Fiesta!

Fiesta de Tunants mit abschließendem Schülermarsch
Fiesta de Tunants mit abschließendem Schülermarsch
danza shuar
danza shuar

Die Shuar-Tracht, wie man sie auf dem Foto der TänzerInnen bewundern kann, tragen übrigens alle Mädchen verpflichtend jeden Montag. Die Kleider und der dazugehörige Schmuck werden vom Ministerium geschickt und das Ganze soll zum Erhalt der Kultur beitragen.
Den Rest der Woche laufen alle Schüler während der Unterrichtszeit mit ihrer Schuluniform herum, die aus grauen Jogginghosen, weißen Tshirts und seltener benötigten grauen Pullis besteht - ein Anblick, der mir inzwischen unendlich vertraut ist, genau wie das Unterrichten selbst.

Doch gerade nun, wo ich einfach drin bin, weiß, wie der Unterricht läuft und echte Fortschritte bei meinen Schülern wahrnehmen kann, heißt es allmählich Abschied nehmen von den Kindern, die mir zum Teil wirklich ans Herz gewachsen sind!
Die Vorstellung, dass sie auch weiterhin Englischunterricht von der nächsten Freiwilligen erhalten werden, wird auf jeden Fall sehr tröstlich sein wenn wir Goodbye sagen.


Denn das Proyecto Selvavida bleibt bestehen und ich hoffe, noch sehr lange.

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Kommentare: 3
  • #1

    Moritz (Mittwoch, 20 Juni 2018 00:14)

    Es macht immer Spaß deinen Blog zu lesen, viele Grüße und noch ganz viel Spaß !! :)

  • #2

    Erika und Walter (Donnerstag, 21 Juni 2018 07:02)

    Sehr schön, du solltest Schriftstellerin werden, weiterhin alles Gute, wir freuen uns wenn du mit deiner guten Laune wieder zu Hause bist, noch einen guten "Restaufenthalt", Erika und Walter.

  • #3

    Mama (Freitag, 22 Juni 2018 16:07)

    Mal wieder sooo schön zu lesen, und auch wenn das Goodbye-sagen langsam näher rückt, erwartett dich hier ein so großes welcome-back! Ich freue mich schon sehr, dich mal wieder fest in meine Arme schließen zu können, dich gesund und munter, fröhlich und mit so vielen Erlebnissen und Erfahren zurück zu haben! Genieß die letzten Monate noch und pass gut auf dich auf, mein Schatz!
    Bis dann! Deine ♥ Mama ♥

Rückflug am 25.08.18

Hier lebe ich die meiste Zeit
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